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Podcast zum Sabbatanfang 10.07.2020

Informationen und geistliches Wort zum Sabbat, den 10.07.2020

Meine lieben Geschwister und Freunde in den Gemeinden Esslingen und Göppingen!

Es gab in dieser Woche keine Informationen, die an die Gemeinden weitergegeben werden sollten, und ich hatte eigentlich auch keine Zeit, den Brief und Video-Podcast dieses Mal vorzubereiten.

Heute Morgen stieß ich aber auf äußerst interessante Gedanken von Hanz Gutierrez, die er gestern veröffentlicht hat. Er ist der Leiter der Abteilung für systematische Theologie an der adventistischen theologischen Hochschule „Villa Aurora“ in Italien. Er schreibt zum Thema:

Schicksal, Angst und Glaube in der Zeit des Coronavirus

Er zieht Parallelen zur Erzählung „La Peste“ (Die Plage) aus dem Jahr 1947 von Albert Camus, dem französischen Philosophen. Ich erlaube mir heute einmal, ausgehend von dieser fiktiven Erzählung Parallelen zu unserer heutigen Situation zu ziehen.

„Die Plage“ erzählt von einem Ausbruch der Beulenpest in der französischalgerischen Hafenstadt Oran, irgendwann in den 1940er Jahren. Dr. Bernard Rieux bemerkt das plötzliche, massenhafte Auftreten sterbender Ratten in der Stadt, und bald kommen Tausende von Ratten ins Freie und sterben. Die Öffentlichkeit gerät in Panik, und die Regierung organisiert schließlich die Verbrennung der Ratten-Leichen. Kurz nach dem Verschwinden der Rattenplage erkrankt M. Michel, der Mann an der Rezeption des Bürogebäudes von Dr. Rieux, an seltsamem Fieber und stirbt. Weitere Fälle treten auf, und Dr. Rieux und sein Kollege Dr. Castel glauben, dass es sich um die Beulenpest handelt. Sie fordern die Regierung auf, Maßnahmen zu ergreifen, aber die verharmlosen und tun nichts, bis die Zahl der Todesopfer immens steigt. Schließlich schließen sie die Tore und stellen Oran unter Quarantäne.

Die Stadtbewohner fühlen sich isoliert und haben Sehnsucht nach Ihren Freunden und Angehörigen außerhalb der Stadt. Pater Paneloux, ein Jesuitenpriester, erklärt in einer Predigt, dass die Pest eine göttliche Strafe für Orans Sünden ist. Raymond Rambert, ein ausländischer Journalist, versucht, aus Oran zu fliehen und zu seiner Frau nach Paris zurückzukehren, wird jedoch von den Behörden aufgehalten. Er wird von Cottard unterstützt, einem Mann, der in der Vergangenheit ein Verbrechen begangen hat und seitdem in ständiger Angst vor Entdeckung lebt. Cottard ist der einzige Bürger, der sich über die Pest freut, weil sie die restliche Bevölkerung genau wie ihn in Angst und Einsamkeit stürzt. Er hat Lust daran, die Angst, Panik und Verschwörungstheorien zu fördern. Währenddessen kämpft Rieux unablässig gegen die Pest.

„Die Pest“ ist eigentlich ein philosophischer Roman und soll eine bestimmte Weltanschauung zum Ausdruck bringen, die Absurdismus heißt, die Philosophie des Absurden: Das Universum sei absurd und bedeutungslos. Es gibt keinen Gott oder keine kosmische Ordnung, und Menschen sind dazu verdammt, zu leiden und zu sterben. Aufgrund dieser Situation haben Menschen drei Möglichkeiten: 1. Selbstmord zu begehen, 2. an eine göttliche Ordnung zu glauben oder 3. das Absurde zu akzeptieren und dem eigenen Leben selbst einen Sinn zu geben. Camus ist für die dritte Option, da die erste Feigheit ist und die zweite eine psychologische Lüge, die für Camus auf derselben Stufe wie Selbstmord steht.

In „Die Plage“ veranschaulichen die verschiedenen Personen verschiedene Arten, mit der Pest umzugehen. Cottard versucht zuerst vergeblich, Selbstmord zu begehen und versucht dann, aus dem Leiden anderer Profit zu schöpfen. Pater Paneloux versucht, der Pest Sinn zu verleihen, als Strafe von Gott, aber als er ein Kind sterben sieht, verliert der Pater seinen Glauben und erliegt selbst der Krankheit. Die Helden des Romans, Rieux, Rambert und Tarrou, leben und kämpfen. Sie erkennen das Absurde (die Macht der Pest und ihr unvermeidliches Schicksal) und arbeiten unablässig dagegen und finden Sinn darin, andere zu heilen – auch wenn sie selber an der Pest sterben werden und das Schicksal unabwendbar ist.

Die „Helden“ kämpfen also angesichts eines unbarmherzigen, gleichgültigen Universums, um anderen zu helfen, auch wenn eine Niederlage unvermeidlich ist. Camus schlägt eine Art Heldentum im Alltag vor: Das Absurde anzunehmen, aber gleichzeitig trotz Hoffnungslosigkeit dagegen zu kämpfen.

Laut einem Bericht der Johns-Hopkins-Universität sind weltweit mehr als 12,1 Millionen Menschen mit COVID-19 infiziert, und mindestens 550.000 sind gestorben. Die USA sind immer noch das Epizentrum mit 3,1 Millionen infizierten Menschen und 134.000 Todesfällen. Indien und Russland holen schnell auf mit über 700.000 Infizierten. In Europa und speziell hier in Deutschland geht es uns vergleichsweise gut, was einige zu der irrigen Annahme verleitet, dass es die Corona-Pandemie gar nicht gibt oder sie harmlos sei. Manche versuchen der Situation dadurch Sinn zu geben, indem sie eine Verschwörung der Regierungen oder anderer Geheimorganisationen postuliert. Zu der am schwersten betroffenen Region entwickelt sich jetzt Lateinamerika, wobei Brasilien bei Infektionen und Todesfällen gleich nach den USA kommt. Wir wissen immer noch nicht, welche endgültigen sozialen, wirtschaftlichen und psychologischen Auswirkungen diese Pandemie haben wird.

Welche Haltung sollte ein an den Gott der Bibel glaubender Christ hierzu haben? Camus‘ Beschreibung der Stadt Oran scheint sowohl veraltet als auch weit weg zu sein. Dabei ist Camus‘ Beschreibung sehr menschlich und bringt auf den Punkt, was wir heute in dieser Covid-19-Epidemie erleben. Oran war tatsächlich mehrmals von Krankheiten betroffen, bevor Camus seinen Roman veröffentlichte. Oran wurde 1556 und 1678 durch die Beulenpest dezimiert. Die Geschichte will uns daran erinnern, dass wir uns unverwundbar fühlen, weil wir in den letzten 70 Jahren in einer utopisch guten Zeit leben. Zumindest in unseren Ländern, in denen es uns vergleichsweise sehr gut geht, haben wir bisher alle Krisen gemeistert. Eine Krise, die global die ganze Welt verändert, ist für unseren Verstand und unsere Erfahrung zu groß. Jetzt aber stellen wir fest, dass wir und unser gewohntes Leben verletzlich sind. Wir erkennen, wir sind wie die anderen Menschen in der Vergangenheit oder in anderen Ländern, auch wenn wir uns technologischer, reicher und informierter fühlen. Orans Geschichte ist unsere Geschichte. Oran ist die Stadt, in der wir leben, obwohl sie Bergamo, New York, San Paolo, Wuhan, Göppingen oder Esslingen heißen kann. Das zu erkennen, was und wer wir wirklich sind, kann uns die ethisch hochstehende Einstellung und die Aufopferungsbereitschaft von Menschen offenbaren, die manche heute verächtlich als rückständig oder von den Mächtigen manipuliert bezeichnen. Die Menschen, die oft bis über die Grenzen ihrer Kraft und unter potentieller Lebensgefahr für andere Menschen und gegen die Pandemie kämpfen, tun das Richtige, auch wenn sie oft nicht an Gott glauben.

Wir glauben an Gott, und auch uns kann „Die Pest“ etwas lehren: Wir können etwas in unserer Umgebung bewirken, wenn wir den Menschen Aufmerksamkeit schenken und ihnen gegenüber einfühlsam sind. Wir sind uns möglicherweise nicht einig über den Ursprung des Universums, über die Wahrheit des Sabbats oder der Bibel, über das endgültige Schicksal des Menschen oder sogar über den Ursprung und die Bedeutung von Covid-19. Das darf uns aber nicht an unserer christlichen und menschlichen Solidarität hindern. Jenseits von eventuellen religiösen und ethischen Überzeugungen gehören wir als Geschöpfe Gottes zusammen und stehen gemeinsam in einer Gefahr, der wir trotzen müssen.

Eine edle Glaubens-Haltung sollte sich nicht nur in Glaubens-Überzeugungen äußern, sondern auch in Glaubens-Handeln, einer Bereitschaft, Menschen zu helfen und ihnen zu begegnen, die wir weit entfernt von unserer religiösen und moralischen Weltanschauung sehen. Dies ist es, was Glaube im Wesentlichen bedeutet. Wahrer Glaube löst uns nicht von Gottes Welt, sondern setzt uns mitten in sie hinein. Dies ist der Sinn der wahren Religion (Jesaja 58).

Wir leben als Adventisten nicht in einer „Blase“. Auch wir sind in der Welt, und unser Auftrag gilt dieser Welt, die Gott so sehr geliebt hat, dass er seinen eingeborenen Sohn gab. Alle, die an ihn glauben, werden gerettet. Nicht nur die, die bereits jetzt an ihn glauben, sondern auch die, die noch zum Glauben an ihn kommen werden. Und diese Menschen befinden sich genau jetzt „in der Welt“ und denken täglich über die aktuellen Gefahren und den Sinn des Lebens nach. Nutzen wir diese Situation im Sinne unseres Herrn Jesus Christus.

Ich wünsche uns allen, dass der Friede Gottes uns begleitet und dass der Herr der Gemeinde für uns sorgt.

Herzliche Grüße, Hartmut Wischnat